Ich möchte eine kleine Serie zu einem Element im Training starten, welches bei einer Trainingsplangestaltung oft erwähnt, aber selten im praktischen beschrieben wird. Nämlich Stress. Da das Thema etwas komplexer ist, wird es ein Mehrteiler. Für wen könnte der Artikel interessant sein? Menschen mit ambitioniertem Sport neben dem Beruf, Stress geplagte Menschen und allgemein neugierige Menschen 😉

Stress (engl. für ‚Druck, Anspannung‘; lat.stringere[1] ‚anspannen‘) bezeichnet zum einen durch spezifische äußere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und geistige Belastung.

Wikipedia – https://de.wikipedia.org/wiki/Stress

Stress ist also nicht per se etwas schlechtes. Es ist eine Anspannung, die es uns ermöglicht Herausforderungen zu bewältigen. Ich nehme mal an, dass diese Herausforderungen in der Steinzeit das Fliehen vor großen Raubtieren oder das Kämpfen um Nahrung waren. Da hat man ja Stress und man muss was können, sonst ist Schluss 😉

Schlecht ist es aber, wenn diese Anspannung über die Dauer erhalten bleibt, man den Stress nicht abbauen kann und das persönliche (Stresstoleranz-)Level übersteigt.

Aber wie viel Stress können wir vertragen und können wir das irgendwie messen?

Um diese Frage zu beantworten müssen wir erst einmal im groben verstehen, welche Arten von Stress es überhaupt gibt. Dabei möchte ich zwischen physischen und psychischen Stress unterscheiden. Um auch die Auswirkung von Stress zu verstehen möchte ich auf unser autonomes Nervensystem eingehen.

Das vegetative / autonome Nervensystem

Hier halte ich mich kurz, denn ich bin ja schließlich kein Neurologe 😉

Das autonome Nervensystem ist Teil unseres zentralen Nervensystems. Es ist autonom, da wir es nicht willentlich beeinfluss können. Es läuft eben autonom ab und in versucht dabei unser inneres Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Dazu werden unsere lebenswichtigen Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Verdauung und unser Stoffwechsel kontrolliert. Dabei werden auch andere Organe und Systeme im Körper über die Nerven mit Signalen beeinflusst. Beispiele dafür sind unsere Sexualorgane, Hormon- und Schweißdrüsen unser Blutdruck und sogar unsere Pupillenreaktion.

Stress geht uns auf die Nerven? Ja! Und das kann alles davon positiv und negativ beeinflusst werden.

Warum erwähne ich das eigentlich? Das autonome Nervensystem setzt sich im Wesentlich aus drei Systemen zusammen: dem sympathischen Nervensystem, dem parasympathischen Nervensystem und dem enterisches Nervensystem. Und hierfür gibt es Messtechniken.

Das sympathische Nervensystem passt unsere Aktionsfähigkeit unter Belastung an. Quasi unser Fight-or-Flight (Kämpfen oder Fliehen) System. Hattest du schon mal einen Schreckmoment oder musstest unter Angst großes Leisten? Wahrscheinlich bist du dabei sogar über dich hinaus gewachsen. Das fühlte sich leichter an, als wenn du beim Sport solche Leistung erbringen willst (willkürlich), oder? In diesen Situationen übernimmt der Sympathikus das Kommando. Diese Effekte werden übrigens durch die Steuerung von Organen und Hormondrüsen erreicht. Eine Übersicht über die funktionellen Aspekte gibt es bei Wikipedia.

Sein Gegenspieler ist der Parasympathikus. Wenn der Sympathikus sich um den Alarmstatus deines Körpers kümmert, dann kümmert sich der Parasympathikus um deine Erholung. Er ist quasi dein Ruhenerv und fährt dich runter. Warst du schon mal so entspannt oder so ausgeruht, dass du beim Training nicht Gas geben konntest? Dann hat dein Parasympathikus wohl zu der Zeit das Ruder übernommen.

Der Körper versucht ein Gleichgewicht zwischen diesen Systemen zu halten. Aber wenn wir uns an die oben beschriebenen Effekte erinnern: na seien wir ehrlich, wie oft fühlen wir uns hier in Gleichgewicht und welches System ist gefühlt zu oft in uns dominant? Das sind alles Auswirkungen von der ein oder anderen Art von Stress. Das wollen wir auch so. Denn wir wollen im Training, oder in hitzigen Situationen auf der Arbeit einen aktiven Parasympathikus haben, damit wir Leistungsfähig sind. Wir müssen aber anschließend auch wieder das Gleichgewicht herstellen.

Was können wir mitnehmen? Falls wir Stress nicht direkt messen können, dann können wir über diese beiden Teile des Nervensystems aber die Auswirkung von Stress messen. Ist ein System dominant? Erholen wir uns noch von einem Stressreiz? Sind wir im Gleichgewicht? Wie das Ganze funktioniert erkläre ich im in einem folgenden Teil des Artikels.

PS: Es gibt noch das enterische Nervensystem. Es ist dein Darmnervensystem. Hier gehe ich aber in der weiteren Folge nicht mehr drauf ein, darum führe ich es an dieser Stelle auch nicht weiter aus.

Psychischer Stress

Hier kann ich mich wahrscheinlich kurz halten. Jeder kennt den psychischen Stress aus diversen Lebenssituationen. Entscheidungen sind zu treffen, Probleme sind zu bewältigen, Konflikte sind auszutragen.

Ich zitiere einfach mal Wikipedia, denn dort ist eine Auflistung diverser Stressigen auf dieser Ebene aufgeführt:

Schwerwiegende Lebensereignisse, die bei Menschen Stress auslösen können, sind insbesondere der Tod eines nahen Mitmenschen und die Trennung durch eine Ehescheidung. Weitere Stress-Faktoren sind:

  • chronische Konflikte in der Paarbeziehung
  • Zeitmangel, Termindruck
  • Lärm
  • Geldmangel, ArmutSchuldenÜberschuldung
  • fehlende Gestaltungsmöglichkeiten, mangelndes Interesse am Beruf und in der Freizeit
  • große Verantwortung
  • Mobbing am Arbeitsplatz, Mobbing in der Schule, Mobbing im Alltag
  • Schichtarbeit (bewirkt eine Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus und gesundheitliche Probleme)
  • Ständige Konzentration auf die Arbeit (zum Beispiel bei Fließbandarbeit)
  • Angst, nicht zu genügen (Versagensangst)
  • Perfektionismus (überhöhte Ansprüche an sich selbst und an andere)
  • Soziale Isolation, Verachtung und Vernachlässigung
  • Schlafentzug
  • Reizüberflutung
  • Krankheiten und Schmerzen, eigene und die von Angehörigen
  • Seelische Probleme, unterschwellige Konflikte
  • Schwerwiegende Ereignisse (beispielsweise ein Wohnungseinbruch, eine Operation, eine Prüfung)
  • auch (unausgleichbare) Unterforderung, Langeweile und Lethargie
  • Überforderung durch neue technische Entwicklungen (TechnikstressTechnostress)
  • Stress durch die Bedrohung des Selbst (eigenes Scheitern oder die Respektlosigkeit anderer)

Viele dieser Punkt kennt – wie gesagt – wahrscheinlich jeder aus seinem Berufs- und Privatleben. Was hat das nun in seinem Sportblog zu suchen? Du hast nur ein Stressbudget! Da ist es egal ob da nun Stress aus Berufs-, Privat- oder Sportleben drauf einzahlt. Zusätzlich kann ein ambitionierter Leistungssport ebenfalls Stress auf dieser Ebene ausüben. Gehen wir doch mal die Liste durch, was fällt alles sofort ins Auge? Zeitmangel, Versagensangst, Perfektionismus, soziale Isolation, Krankheit und Schmerzen.

Physischer Stress

Sport ist physischer Stress. Wir fordern dem Körper eine Leistung ab. Dafür muss er aus seiner Komfortzone raus. Anschließend gönnen wir ihm die Erholung, damit das Stresslevel abklingen kann. Nun wird sich der Körper an die Herausforderung anpassen, damit er sie beim nächsten Mal leichter bewältigen kann. Dies wäre ein Beispiel von positivem Stress. Wir erzeugen Leistungsfähigkeit. Das beschriebene Szenario von Belastung, Erholung und Anpassung mit Leistungssteigerung nennt man Training. Wir belasten ein System über die Komfortzone hinaus und wollen damit eine positive Leistungsanpassung erzielen. Wichtig dabei ist, dass die Belastung überhalb der Komfortzone sein muss (einen Reiz setzen). Der Körper muss also etwas tun. Reines Spazierengehen ist für den Ausdauerathlet also keine Belastung. Genauso wichtig ist die Erholung. Wir entwickeln uns nur in dieser Erholungszeit. Zur Erholung gehört die physische Erholung, aber auch die psychische dazu.

Wenn wir zu viel oder zu hart trainieren, dann benötigen wir viel mehr Erholung. Zu viel. Denn um wieder Aufnahmebereit für den nächsten Reiz zu sein, vergeht viel Zeit. Wenn wir weniger hart oder kürzer trainiert hätten, dann wären wir früher wieder fit und könnten schon den nächsten Reiz setzen. Die Summe der zwei kleinen Reize ist eigentlich immer höher als der eine große Reiz. Continuity is key. Zusätzlich passt sich der Körper auch an die Pausen an. Sind diese zu lang, baut er nach der Erholung die Leistungsfähigkeit wieder ab. Denn er erfährt ja gerade, dass er sie nicht braucht.

Andersherum könnte wir uns ja die Erholung schenken und direkt wieder loslegen. Tut zwar weh, ist anstrengend und macht irgendwie keinen Spaß. But no pain, no gain. Nur die Harten kommen in den Garten. Tja, doofe Idee. Dein Körper ist gar nicht fähig diesen Reiz zu verarbeiten. Er kämpft dabei eventuell nur ums Überleben. Die Zeit für die Anpassung fehlt. Das geht eine Weile gut, doch dann stagniert irgendwie das Leistungsniveau. Das was sonst immer locker flockig ging, ist nun irgendwie anstrengend. Trotzdem schaffst du es irgendwie. Also kein Grund zur Sorge. Miese Falle! Hey, nicht sofort in Panik verfallen, manche solcher Tage sind auch einfach der Tagesform geschuldet oder man hatte anderweitig irgendwie Stress (Arbeit, Familie, usw.) gehabt der einen belastet. Oh, heißt das etwa, dass man immer das ganze Stressspektrum betrachten muss? Ich greife jetzt etwas vor und sage ja. Näher gehe ich aber erst später hierauf ein.

PS: Hier gibt es Methoden diesen Effekt positiv zu nutzen. Man spricht von einem funktionalen Overreaching. Der Athlet wird durch hartes und/oder intensives Training deutlich über sein Level belastet, so dass seine Leistung stagniert und er am Rande eines Übertrainings steht. Anschließend wird er stark entlastet (Ruhetage, lockeres Training). Ziel dabei ist eine krasse Superkompensation. Das ist quasi das Belastung/Entlastung/Anpassung-Schema in die Extreme getrieben. Das Ganze ist aber nur etwas für „Geübte“, denn das richtige Maß zu finden ist eine Kunst und geht wahrscheinlich die ersten Male schief. Und wenn es schief geht, ist das Risiko, dass es richtig in die Hose geht, einfach zu hoch. Also nicht zum Nachmachen empfohlen!

Aber zurück zum Thema. Das nächste Stadium wäre: deine Leistung fällt ab. Du bist müde. Du schaffst es nicht einmal mehr die Ausgangsleistung von vor ein paar Wochen zu bringen? Herzlichen Glückwunsch, du hast dich in den Keller trainiert. Willkommen im Übertrainingsland. Das ist kein Spaß. Hier wieder wegzukommen dauert ggf. Wochen, Monate oder Jahre. Zusätzlich paart sich das Übertraining auch noch mit weiteren Überlastungs- und Verschleißanzeichen des Körpers, zum Beispiel Verletzungen. Wenn alles gut lief, hast du eine Verletzung vor dem Übertraining. Dein Körper sagt dir damit, dass er nicht mehr kann und du hörst auf. Verletzung gewonnen – ist scheiße, ja – aber Übertraining vermieden.

Um das Kapitel jetzt nicht negativ zu beenden: Du kannst mit Sport positiven Stress erzeugen, wenn du das passende Maß findest. Wie viel das ist, kommt auch immer auf das Ziel an. Willst du mit z.B. Joggen Stress aus dem Büro abbauen? Dann ist das Volumen wahrscheinlich gar nicht so hoch. Geh einfach laufen und du merkst schon selbst nach welcher Zeit es dir plötzlich deutlich besser geht. Machst du Leistungssport? Dann brauchst du ggf. mehr Stress um eine Anpassungsreaktion in Form einer Leistungssteigerung zu erzielen. Gleichzeitig darf es aber auch nicht zu viel Stress sein, damit du nicht über das Ziel hinausläufst. Wie viel Stress du brauchst, dass beschreibe ich in einem späteren Teil des Artikels.

Der Athlet befindet sich aber in einer deutlich schwierigeren Situation, wenn er außerhalb des Sports viel Stress ausgesetzt ist. Sein Stressbudget ist schon stark strapaziert, aber er müsste auf den Körper noch eine ganze Ecke Stress ausüben um einen Reiz zu setzen. Was tut er? Trainiert er hart? Chance: Leistungssteigerung. Risiko: Abschuss. Trainiert er nicht? Chance: Erholung. Risiko: Fitnessverlust. Trainiert er nur locker oder zur Erhaltung? Chance: Etwas Stressabbau. Risiko: Nicht alle Früchte in Sachen Leistung geerntet.

Und diese Frage zu beantworten ist äußerst schwierig. Und erzeugt für den (leistungsorientierten) Athleten weiteren Stress. Denn seine Persönlichkeit sagt ihm wahrscheinlich: hustle, hustle, hustle! Bringt mich nichts tun denn meinem Ziel näher? Verliere ich hier nicht gerade Training? Erfahrene Athleten und „coole Säue“ denken sich bestimmt: cool ein Erholungstag. Heute gebe ich mir alles zurück. Aber soweit muss man erst einmal sein.

Wie ich mit dieser Frage 2018 (meiner Meinung nach recht erfolgreich) umgegangen bin, es zwischenzeitig nicht bin und nun wieder tue, folgt im nächsten Teil.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.